Dieser Text befasst sich mit dem in den Badischen Neuesten Nachrichten erschienenen Artikel „Autos müssen zwei Meter Mindestabstand zu Radlern halten“ von Roland Weisenburger, der auch in der Vergangenheit bereits Texte zum Thema „Sicherer Radverkehr“ geschrieben hat (siehe [1], [2]).
Zu Beginn des Artikels wird die Bedeutung des sicheren Überholabstandes erklärt. Mit Hinblick auf die Reform der Straßenverkehrsordnung (StVO) schreibt Weisenburger:
Zumindest außerhalb von Ortschaften müssen Autos künftig so weit ausholen, dass mindestens noch ein ganzes Auto zwischen ihren Außenspiegel und den Lenker des Radlers passt. Innerorts sind immerhin noch 1,5 Meter vorgeschrieben.
Bis auf das kleine Wörtchen „künftig“ ist dies eine zutreffende Beschreibung. Bereits jetzt sind diese Maße in der Rechtsprechung immer wieder bestätigt worden, um den unbestimmten Begriff des „ausreichenden Abstandes“ zu konkretisieren. Praktisch ändert sich auf den Straßen daher gar nichts. Die Aufregung ist unbegründet.
Im weiteren Verlauf kommt Klaus S. (45 Jahre alt, Unternehmer aus dem Enzkreis, Autofahrer) zu Wort und trifft einige Aussagen, die im Artikel zum Teil nicht in ausreichender Form eingeordnet werden. Dabei verstrickt er sich in unauflösbare Widersprüche, die im Folgenden aufgezeigt werden sollen.
1. Für Klaus S. ist das ein Witz. „Unsere Straßen sind breit genug, dass zwei Lastwagen aneinander vorbei passen und dabei noch locker ein Radfahrer überholt werden kann“, sagt der Unternehmer aus dem Enzkreis.
Offenbar nimmt Klaus S. die durch die StVO geforderte Einhaltung von Sicherheitsabständen beim Überholen nicht ernst und hält sie für einen Witz. Der Regelquerschnitt für zweispurige Landstraßen, die vor 1996 angelegt wurden, beträgt 6,50 m (vgl. RAS-Q). Aktuell werden Fahrbahnbreiten von 7,00 m als Regelquerschnitt angesehen, wobei neben beiden Fahrstreifen jeweils ein 50 cm breiter Asphaltstreifen außerhalb der Fahrbahn vorgesehen ist (siehe RAL). Lastkraftwagen dürfen nicht breiter als 2,55 m sein. Mit zwei Lkw auf der Landstraße verbleiben daher nur noch 1,40 m bzw. 1,90 m für einen Radfahrer sowie für die Sicherheitsabstände der Lkw zum Fahrbahnrand, der Lkw untereinander und des überholenden Lkw zum Radfahrer.
2. Radfahrer nerven ihn, wenn sie […] nicht Platz machen, sondern „nach links ziehen, sobald sie merken, dass sie überholt werden“.
Das persönliche Empfinden von Klaus S. ist für die Frage der Verkehrssicherheit nicht relevant. Bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h auf einer übersichtlichen Landstraße legt ein von hinten nahendes Auto 27,78 Meter pro Sekunde zurück. Mit einem am Fahrradlenker angebrachten Rückspiegel könnten Radfahrer den überholenden Klaus S. nur wenige Sekunden vorher wahrnehmen. Ob da noch Zeit bleibt, just in diesem Augenblick nach links zu ziehen, halte ich für fraglich.
3. Generell hält der 45-jährige Klaus S. […] Fahrrad fahren auf der Landstraße für „extrem gefährlich“, insbesondere auf Strecken, auf denen Autofahrer auch mal gerne etwas schneller unterwegs sind.
Wie eingangs im Artikel beschrieben, droht die „extreme Gefahr“ nicht durch die Landstraße, sondern durch nicht eingehaltene Sicherheitsabstände. Hinzu kommt die von Klaus S. getätigte Aussage, dass Autofahrer „auch mal gerne etwas schneller unterwegs sind“, sprich, dass er die zulässige Höchstgeschwindigkeit gerne deutlich überschreitet. Dabei gilt zu bedenken, dass mit der zu hohen Geschwindigkeit der Bremsweg im Falle einer Notbremsung quadratisch wächst. Andererseits sind laut der ersten Aussage von Klaus S. (siehe 1., oben) die Straßen so breit, dass eigentlich keine Gefahr beim Überholen bestehen kann. Wie dieser Widerspruch aufgelöst werden soll, bleibt unklar.
4. „Gerade dort, wo ich diesen Mann immer wieder antreffe, ist die Straße bolzengerade. Da fährt doch kein Mensch 100.“
Auf gerader Strecke ist das Überholen besonders sicher, sofern kein Gegenverkehr kommt. Da die Strecke dort „bolzengerade“ ist, kann Klaus S. seine Geschwindigkeit rechtzeitig verringern. Immerhin sieht er Radfahrer schon von Weitem. Anscheinend zieht er es dort jedoch vor, deutlich über 100 km/h zu fahren, obwohl es sich nicht um eine Autobahn handelt. Er verhält sich somit grob verkehrswidrig.
5. Wo Autofahrer Gas geben wollen, sollten seiner Ansicht nach die Radfahrer auf den Radweg ausweichen oder doch lieber den Bus nehmen.
Klaus S. bleibt uns die Erklärung schuldig, welchen Radweg er meint. Und selbst wenn die Radfahrer, die ihn so „nerven“, den Bus nehmen würden, so könnte er dennoch nicht auf der „bolzengeraden“ Straße mit über 100 km/h über die Landstraße rasen, da der Bus höchstens 80 km/h fahren darf und ein noch viel breiteres Fahrzeug darstellt als ein Fahrrad. Es gibt allerdings Straßen, die er nutzen und dabei „Gas geben“ könnte. Man nennt sie Autobahnen. Deren Benutzung ist für Radfahrer untersagt.
6. Radfahren, das ist für Klaus S. doch eher eine Freizeitbeschäftigung. „Die allerwenigsten fahren tatsächlich ins Geschäft.“
Ob die Fahrt mit dem Rad ein Arbeitsweg, ein reines Freizeitvergnügen oder ein sonstiger Alltagsweg (z. B. zum Wocheneinkauf) ist, ist für die Frage der Verkehrssicherheit völlig irrelevant. Daher bleibt es rätselhaft, wieso Klaus S. dieses vermeintliche Argument gebraucht.
7. Für Klaus S. ist klar, wie ein vernünftiges Miteinander zwischen Radfahrern und Autofahrern aussehen muss. „Wenn ich Fahrrad fahre, dann fahre ich so, dass ich den anderen Verkehrsteilnehmern nicht zur Last falle.“
Die Aussage über das „vernünftige Miteinander“ schließt die im Artikel beschriebenen Äußerungen des Klaus S. ab. Offenbar sieht er Radfahrer als eine „Last“ an, die ihn trotz angeblich ausreichend breiter Straßen nerven, weil sie zu viel Platz verbrauchen, obwohl sogar für zwei Lastwagen und einen Radfahrer mehr als genug Platz vorhanden ist (vgl. Zitate 1 und 2). Welche Last er meint, beantwortet er schließlich in seinen Zitaten 4 und 5. Es geht ihm ums „Gas geben“. Diesem lebensgefährlichen Drang sollen sich scheinbare Freizeitradfahrer im Sinne des Miteinanders unterordnen.
8. „Am Ende hat er ja vielleicht recht, aber er ist tot.“
Er, der Radfahrer, könnte tot sein. Ja, das stimmt, aber wieso stimmt das? Vielleicht hat es etwas mit dem Verhalten von Menschen wie Klaus S. im Straßenverkehr zu tun.
Der ADAC Nordbaden ergänzt:
„Für die Sicherheit ist das ein Vorteil, für den Verkehrsfluss aber eher nicht“, sagt ADAC-Verkehrsexperte Thomas Hätty.
Zur Erinnerung: Die StVO-Reform legt die bereits jetzt schon laut gängiger Rechtsprechung vorgeschriebenen Sicherheitsabstände beim Überholen in expliziter Form fest. Es geht daher lediglich um eine verbesserte Rechtssicherheit, nicht um eine Erhöhung der Sicherheit im Straßenverkehr.
„Unsere Straßen sind innerorts oftmals drei bis vier Meter breit. Da bleibt dem Autofahrer in 80 Prozent der Fälle nur übrig, sich hinter dem Fahrradfahrer zu halten – und das kann dann ganz schön langsam vorwärts gehen.“ Noch gravierender seien die Auswirkungen außerorts.
„Schön langsam“ ist in diesem Kontext nicht als erstrebenswertes Ziel für sicheren innerstädtischen Verkehr gemeint. Tatsächlich liegen die Durchschnittsgeschwindigkeiten von Autos in vielen deutschen Städten bei unter 30 km/h, etwa in Berlin zu den Stoßzeiten im Berufsverkehr bei 8,2 km/h. Außerorts sind erfahrungsgemäß deutlich weniger Menschen mit dem Rad auf den Fahrbahnen unterwegs als innerorts. Laut dem ADAC Nordbaden sind die Auswirkungen dort jedoch „noch gravierender“ – und das, obwohl sich an der Rechtslage prinzipiell gar nichts ändert. Verstehe das, wer wolle.